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Trisomie 13 – 90% treiben ab

February 12, 2021 #fairändern 0 Comments

„Ich komme grade aus dem Krankenhaus. Mit unserem Kind sieht es nicht gut aus.“, schluchzte meine Frau ins Telefon, als sie mich nach der gynäkologischen Untersuchung anrief. Der Verdacht des Arztes lautet Trisomie 13 – eine genetische Krankheit, bei der 80% der Kinder schon vor der Geburt sterben oder nach der Geburt nur wenige Wochen leben.

Wir mussten den Schock erst einmal verdauen – dabei war unser kleines Glück grade so perfekt: Wir haben im August 2020 geheiratet und da wir unser ganzes Leben hindurch von Kindern umgeben waren, wuchs auch in uns der Wunsch, eigenen Kindern das Leben zu schenken.

Dann, ich weiß es noch ganz genau, am 27. Oktober wollten Doris und ich am Nachmittag Möbelstücke für unsere Wohnung kaufen. Doris war schon früher am Geschäft und wartete dort. Als ich nachkam, überreichte sie mir strahlend eine kleine Box. Ich blickte hinein: Babybekleidung und Ultraschallfoto. Ich war und bin noch immer riesig stolz auf sie und dankbar, dass wir Mutter und Vater sein dürfen.

Die Schreckensnachricht

Als dann am 23. Dezember die Schreckensnachricht kam, wussten wir beide nicht, wie wir reagieren sollten – wir standen beide unter Schock, meine Frau weinte und ich musste es erstmal verdauen. Dann schickte ich meiner Frau aber noch eine SMS: „Egal was passiert, ich halte zu dir.“ Der Arzt entgegen entließ sie schließlich mit den Worten: „Wenn sich der Gendefekt bestätigt, wirst du deine Schwangerschaft ja eh beenden.

Viele Tränen wären uns erspart geblieben, wenn man achtsamer und sensibler mit meiner jungen Frau gesprochen hätte, die allein und unvorbereitet nach einer Routinekontrolle beim Frauenarzt ins Spital geschickt wurde. Ist denn unser Kind, das meine Frau in sich trägt, unwertes oder unerwünschtes Leben?

Im Januar, nach einer Fruchtwasseruntersuchung, bestätigt sich schließlich der Befund – unser Kind hat eine Deletion auf dem 13. Chromosom. Dennoch wollen wir das Geschlecht wissen, wollen unserem Kind einen Namen geben, wollen uns trotzdem über das Leben, das in meiner Frau wächst, freuen. Zufällig sehe ich beim Arzt, dass es ein weiblicher Chromosomensatz ist. Als ich nachfrage, ob wir ein Mädchen erwarten, kommt nur ein knappes „Ja“ zurück. Wir beide bekommen den Eindruck, dass hier nicht über ein menschliches Wesen – unsere Tochter – geredet wird, sondern nur um eine medizinische Anomalie. Keiner gratuliert uns, keiner freut sich mit uns.

90 % entscheiden sich für eine Abtreibung

Im Gegenteil, der Arzt gibt uns einen Rat: „Ihr könnt selbst entscheiden, aber 90 % aller Paare in eurer Situation würden die Schwangerschaft jetzt beenden.“ Traurig und wütend entgegne ich: „Welchen Grund können Sie mir nennen, dass ich mein eigenes Kind umbringen lassen soll?“ Der Arzt erwidert jedoch nur: „Wenn deine Frau jetzt eine Tablette nimmt, ist die Sache vorbei und ihr könnt euch auf die nächste Schwangerschaft konzentrieren. Außerdem macht das für die Frau einen Unterschied, ob ihr das jetzt erledigt, oder Sie später eine Totgeburt durchmachen muss.“

Mir und meiner Frau laufen bei diesen Worten die Tränen hinunter. Wir verstehen die Welt nicht mehr – die Sache wird erledigt? Ich antworte dem Arzt darauf: „Wenn das Kind später auf die Welt kommt, dann kann ich es in die Arme schließen. Vielleicht muss ich es beerdigen, aber dann habe ich einen Platz, den ich zum Trauern aufsuchen kann.“ Daraufhin wendet sich der Arzt von mir ab und sagt zu meiner Frau: „Die Entscheidung liegt trotzdem bei Ihnen.“ Zum Schluss redet er noch davon, dass wir uns mit der Entscheidung Zeit lassen können, da es in diesem Fall ja keine Fristen gibt.

In den Tagen darauf mache ich mir viele Gedanken: In was für einer Gesellschaft leben wir, wo ein Kind nicht mehr als Mensch gesehen wird, nur weil es einen Gendefekt oder eine Krankheit hat? Was, wenn Doris unser Kind nicht mehr haben will? Ich wäre hilflos, ausgeliefert. Ich dürfte nicht mitreden, nicht mitentscheiden. Das wäre das Schlimmste für mich. Doch Doris beweist ihre Mutterliebe und damit ihre Liebe zu mir jeden Tag aufs Neue, indem sie Ja zu unserem Kind sagt.

Heute ist Doris im vierten Monat. Wir wissen nicht, wie die Geschichte weitergehen wird. Aber wir beide wissen, dass wir unsere Tochter lieben und sind beide auf alles gefasst. Vielleicht kommt sie lebend zur Welt, vielleicht nicht. Jedenfalls nehmen wir das Geschenk der Zeit zu dritt dankbar an und freuen uns über jeden Tag, in der unser kleines Zwergerl lebt.

Doris und Johannes

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