Mein Name ist Michaela, ich bin 55 Jahre alt, seit 27 Jahren verheiratet und Mutter von zwei Kindern.

Meine 1. Schwangerschaft verlief wie aus dem Lehrbuch und als sich zwei Jahre später unser Sohn angekündigt hat, war unsere kleine Welt perfekt. Die Schwangerschaft war anfangs ganz normal. Im 7. Schwangerschaftsmonat, während einer routinemäßigen Ultraschalluntersuchung, wurde plötzlich eine „Ventrikelerweiterung im Gehirn“ des Babys festgestellt und uns ziemlich schonungslos mitgeteilt, dass unser Sohn mit einer schweren geistigen Behinderung zur Welt kommen wird.

Mit einer solchen Diagnose konfrontiert zu werden ist schon eine große Herausforderung für sich. Was uns jedoch zusätzlich fast noch mehr belastet hat, war die Kälte mit der die Ärzte damit umgegangen sind. Aussagen wie: „Ihr Kind wird nicht perfekt zur Welt kommen, wir raten daher zu einer Abtreibung“, war nur einer der Sätze, die uns damals sehr erschüttert haben. Der Gedanke, unser 7 Monate altes Baby zu töten war für uns unerträglich und auch mit unserem christlichen Glauben nicht zu vereinbaren. Obwohl der Schwangerschaftsabbruch im Raum stand, sollten auch noch zusätzliche Untersuchungen wie z.B. eine Fruchtwasserpunktion durchgeführt werden. Wir haben alle weiteren Untersuchungen abgelehnt, was für die Ärzte auch nicht nachvollziehbar war und nicht zu einer besseren Vertrauensbasis beigetragen hat. Wir mussten einen Aufklärungsbogen unterschreiben, mit dem wir die volle Verantwortung für den weiteren Verlauf der Schwangerschaft übernommen haben und uns gegen die ärztlichen Ratschläge gestellt haben. Die letzten zwei Monate bis zur Geburt waren daher emotional sehr herausfordernd.

Daniel wurde geboren und nach einem Tag auf der Intensivstation durfte er in mein Zimmer übersiedeln. Nach weiteren vier Tagen konnten wir das Spital verlassen, da die durchgeführten Untersuchungen keine sofortigen Maßnahmen erforderten. Der Rat der Ärzte damals: Beobachten Sie das Kind engmaschig durch den Kinderarzt; bei Auffälligkeiten kommen Sie bitte wieder zu uns zurück. Keine Beratung, keine Therapieangebote, einfach zur Beobachtung nach Hause entlassen. Wir fühlten uns ziemlich im Stich gelassen.

Die ersten sechs Lebensjahre von Daniel waren geprägt von Therapien und Untersuchungen, da sich natürlich sehr schnell herausgestellt hat, dass er viele Dinge, wenn überhaupt, nur sehr verzögert und nur durch sehr viel Üben und Therapie erlernen wird. Alle Therapien (Physio, Ergo, Logo, Hippo) konnten wir Gott sei Dank privat organisieren und bezahlen, da wir sonst monatelang auf Therapieplätze gewartet hätten. Das schönste Erlebnis während dieser Zeit war, als Daniel mit ca. drei Jahren dem Arzt entgegengelaufen ist, der uns gesagt hatte: „Ihr Kind wird nie gehen können“.

Da ich an einem Internationalen Schulcampus in Wien arbeite, konnte Daniel ab dem 2. Lebensjahr unseren Kindergarten besuchen. Als dann mit sechs Jahren die Schuleinschreibung anstand, ging der Spießrutenlauf wieder los. Als Elternteil eines Kindes mit SPF (Sonderpädagogische Förderung) kann man sich die Schule in Wien nicht aussuchen, sondern wird einer Schule zugeteilt. Wenn die zugeteilte Schule nicht passt, bleibt wieder nur der Schritt Geld in die Hand zu nehmen und eine Privatschule zu finden, die eine Integrationsklasse anbietet. Auch hier hat uns Gott versorgt und Daniel konnte vier Jahre die Mayflower Christian Academy und danach vier Jahre die private Mittelschule im Schulzentrum Antonigasse besuchen.

In Österreich benötigen Kinder neun Pflichtschuljahre, um eine fertige Schullaufbahn nachweisen zu können und eventuell eine Lehrausbildung zu beginnen. Die Suche nach einer weiterführenden Schule mit Integrationsklasse für das 9. Schuljahr war wieder eine große Herausforderung und in Wien die sprichwörtliche „Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen“. Gott sei Dank wurde Daniel sein Vorschuljahr im Kindergarten als 9. Schuljahr angerechnet und er konnte eine Lehre als Elektroniker bei der Firma Siemens beginnen. Diese Ausbildung war eigentlich ein gefördertes Projekt für gehörlose Jugendliche.  Unter Mithilfe aller Lehrer in der Berufsschule und mit viel Unterstützung durch seine Ausbildner in der Firma und auch uns Eltern konnte Daniel tatsächlich die Lehrabschlussprüfung positiv absolvieren. Was für eine Meisterleistung!

Der Freude über den positiven Lehrabschluss folgte die Ernüchterung der Kündigung bei Siemens und die Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz begann erneut.

Nach einem ½ arbeitslosen Jahr konnte Daniel dann durch Mithilfe der WUK Arbeitsassistenz einen Teilzeitjob als Haustechniker beim AWZ Soziales Wien erhalten, wo er auch bis zum heutigen Tag arbeitet.

Im Bereich der integrativen Kindergarten-, Schul- und auch Berufsausbildung gibt es in Wien und wahrscheinlich auch im restlichen Österreich noch sehr viel Potential und Luft nach oben. Besonders in der Elementarpädagogik ist die Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze viel zu gering.  Als Elternteil eines Kindes mit „Handicap“ braucht es viel Zeit, Engagement, Geld und manchmal auch Glück um die richtigen Therapieplätze, Ärzte, Einrichtungen, usw. zu finden. Oft muss man auch sehr stark für sein Kind kämpfen um zum Ziel zu kommen.  

Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass die von der Öffentlichkeit wahrgenommenen Rahmenbedingungen für Kinder, die nicht in unser „perfektes“ System passen und auch die Unterstützung für die Eltern sich so verbessern, dass sich viele Mütter FÜR ihr Kind und GEGEN eine Abtreibung entscheiden.

Denn obwohl die letzten 26 Jahre sehr herausfordernd und anstrengend waren, haben wir bisher keinen einzigen Tag bereut. Unser Sohn ist eine große Bereicherung in unserem Leben… es lohnt sich allemal!

Michaela

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