Dr. Nicholas Waldstein-Wartenberg
Facharzt für Chirurgie, Vorstandsmitglied des Salzburger Ärzteforum für das Leben und Mitglied der Salzburger Hospizbewegung
Im Aufbau der Hospizbewegung war ich als Arzt im Vorstand beteiligt und habe viele Menschen auf ihrem Lebensweg begleitet. In vielen Gesprächen habe ich auch ihre Not und Angst erfahren.
Ähnliche konfliktgeladene Situationen können auch bei einer ungewollten Schwangerschaft oder beim Sterben und Tod eines Kindes auftreten. Wir alle wünschen uns eine Gesellschaft und eine Politik, die es ermöglicht, dass alleingelassene Frauen und Männer in einem solchen Lebenseinschnitt liebe-und verständnisvolle Beratung erfahren und Hilfsangebote annehmen. Über #fairändern bin ich dankbar, dass diese Themen in der Öffentlichkeit angesprochen werden.
Dr. Nicholas Waldstein-Wartenberg
Perfekte Umstände?
Aus der Beratungspraxis
Diesmal habe ich einen jungen Mann namens Michael* am Telefon. Seine Freundin ist schwanger, doch sie sind sich einig, dass sie dieses Baby nicht bekommen können. Ich höre eine gewisse Unsicherheit und Ambivalenz aus seinen Worten heraus und frage nach: Warum „kann“ dieses Paar kein Kind bekommen? Die Umstände sind es. Ja, die Umstände sind noch nicht „perfekt“. Zwar sind beide berufstätig, Wohnraum ist vorhanden und die Eltern von beiden würden sich freuen, Großeltern zu werden. ABER…! Es war halt einfach noch nicht geplant. Michaels Freundin möchte eine Zusatzausbildung machen, und eigentlich war noch ein Umbau in der Wohnung vorgesehen. In einem Jahr, ja, da wären sie dann vielleicht bereit für eine Schwangerschaft…Ich rede sehr lange mit Michael. Immer mehr merke ich, dass dieser werdende Vater einfach alles richtig machen will. Alles soll und muss perfekt sein, alles soll genau nach Plan laufen. Das stimmt mich nachdenklich. Dieser Wunsch nach Perfektion, nach Planbarkeit und Kontrollierbarkeit begegnet mir in den Beratungsgesprächen neuerdings immer öfter. Ich frage mich, ob das vielleicht mit den scheinbar perfekten Bildern von uns selbst zu tun hat, die auf Instagram & Co. allgegenwärtig sind. Obwohl wir natürlich alle wissen, dass diese Bilder und Nachrichten bearbeitet und beschönigt sind, macht es etwas mit uns. Das Leben findet immer mehr in aller Öffentlichkeit statt und der Druck, alles „perfekt“ zu machen, steigt enorm. Während des Gespräches erkennt Michael selbst, dass die Gründe, die gegen das Kind zu sprechen scheinen, eigentlich nur unwichtige Kleinigkeiten sind. Was für eine furchtbare, folgenschwere Entscheidung hätten er und seine Freundin beinahe getroffen! Er stimmt mir zu, dass für ein Baby die Liebe das Allerwichtigste ist und nicht irgendwelche „perfekten“ Umstände. Langsam wird immer deutlicher spürbar, wie die Freude auf sein Kind in ihm aufsteigt. Jetzt kann er es schon gar nicht mehr erwarten, seine neue Erkenntnis mit seiner Freundin zu teilen! Sie entscheiden sich FÜR ihr Baby und FÜR ein Leben, das von Liebe geprägt ist. Ich bin dankbar, dass Leben und Liebe in dieser unperfekten Welt wieder einmal gesiegt haben!
*Namen und Umstände wurden zum Schutz der Privatsphäre geändert
Suche
Letzte Beiträge
Archiv