Vor 12 Jahren kam meine Tochter zur Welt und brachte unerwarteterweise ein zusätzliches Chromosom mit. Das war nicht nur für mich eine absolute Überraschung. Der Verdacht auf Trisomie 21 tauchte erst auf, als unser Baby nach einem Notkaiserschnitt akut unter Sauerstoffmangel litt.

Jasmin benötigte sofort eine OP und wir konnten sie nach einem einmonatigem Spitalsaufenthalt endlich mit nach Hause nehmen. Die Diagnose Trisomie 21 schmälerte meine Freude über die Geburt meiner Tochter keineswegs. Es war aber nicht für alle so leicht, sie gern zu haben. Nach anfänglichem Mitleid ihr gegenüber, Angst vor der Zukunft und vor dem Ungewissen hatte sich auch der Rest meiner Familie auf die Situation eingestellt.

Während dieser vier Wochen im Krankenhaus blieb eigentlich keine Zeit, um sich viele Gedanken zu machen, wie es zu Hause weitergehen würde. Ich saß zwei Stunden täglich im Auto und versuchte den Tag bei meiner Tochter zu verbringen und mich abends um meine Familie, den Haushalt und meine zwei schulpflichtigen Kinder zu kümmern. Ohne Unterstützung meiner Schwester hätten wir diese Zeit sicher nicht so gut meistern können.

Unser kleiner Sonnenschein war ein sehr zufriedenes und ausgeglichenes Baby und wir wollten Jasmin so gut es geht in ihrer Entwicklung unterstützen. Mir wurde schnell bewusst, dass ich mit meinen Fragen auf mich gestellt war, manchmal war es reiner Zufall, brauchbare Informationen zu bekommen. Trotz Nachfrage in den Krankenanstalten bekam ich keine Hinweise bezüglich Förderung in der Entwicklung oder finanzieller Unterstützung. Oft fühlte ich mich alleingelassen und überfordert. Ich musste feststellen, dass wir hier im Burgenland auch in dieser Hinsicht viel schlechter aufgestellt sind als in Wien. Trotzdem hatten wir auch Glück. Beispielsweise konnten wir den letzten freien Platz in der Frühförderung erhalten und wir haben viele gute Erfahrungen mit dem Kindergarten und der Volksschule gemacht. Auch hier müssen Eltern oft für ihre Kinder kämpfen. Später habe ich erfahren, dass Familien sogar extra übersiedelt sind.

Eine Freundin und ich gründeten vor acht Jahren den Verein „Wirbelwind 21×3“. So tragen wir dazu bei, betroffene Familien zu unterstützen und ihnen mit unserer Erfahrung den Alltag zu erleichtern. Als unsere Jasmin klein war, war mir noch nicht bewusst, wie sehr meine Erfahrungen eines Tages anderen Eltern weiterhelfen würden. Wir trugen mit unseren zahlreichen Vereinstreffen, Workshops und Vorträgen schon zu der Entstehung vieler Familienfreundschaften bei.

Jasmin hat unser Leben auf den Kopf gestellt. Trotz der Herausforderungen bringt sie so viel Freude, Liebe und unzählige wunderbare Momente in unsere Familie. Sie ist inzwischen 12 Jahre alt. Sie liebt Reiten und Tanzen, kann sich Choreografien sehr gut merken, auch wenn sie motorisch etwas eingeschränkt ist und schneller ermüdet als andere Kinder.

Meine Tochter hat mich in diesen zwölf Jahren viel gelehrt. Es ist nicht wichtig, was meine Kinder in ihrem Leben alles erreichen. Wichtig ist, dass sie von Menschen umgeben sind, die für sie da sind. Jasmin hat ein besonderes Gespür dafür und ich ertappe mich dabei, wie ich sehr viel Wert auf ihr Urteil lege und sie genau beobachte, wie sie auf andere Personen reagiert. Empathie ist ihre große Stärke. Sie spürt instinktiv, wie Personen ihr gegenüber eingestellt sind, oder ob jemand gerade Ruhe oder Trost braucht.

Was Jasmin einmal beruflich machen will, weiß sie noch nicht. Sehr hilfreich wäre hier zum Beispiel, wenn Jasmin ganz unkompliziert die Möglichkeit für ein 11. und 12. Schuljahr hätte. Ich kenne ja meine Tochter gut und sehe hier, wieviel eine Investition in ihre Ausbildung bringt, auch was ihre soziale Entwicklung betrifft und ihre Möglichkeiten, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Es ist nicht das zusätzliche Chromosom, welches das Leben meiner Tochter so sehr beeinflusst. Natürlich gibt es Einschränkungen, die sie dadurch hinnehmen muss. Aber es ist die Gesellschaft und es sind vor allem auch Entscheidungen in der Politik, die oft dafür sorgen, dass Jasmin in ihrer Entwicklung und in der Möglichkeit am normalen gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, behindert wird. Andererseits sind es die Politik und die Gesellschaft, die die Möglichkeit haben, die Umstände zu verändern.

Sabine P, verheiratet, drei Kinder

#trisomie21 #downsyndrom #jedeslebenistlebenswert #LiebekenntkeineBehinderung #abschaffungembryopathischeIndikation #fairändern

3 Comments

    July 1, 2023 REPLY

    Jasmin ist wirklich ein sehr liebenswertes Kind, von dem man viel lernen kann. Und vor allem schenkt sie uns viel Freude. Sie hat aber auch das Glück, in einer aufopferungsvollen Familie aufzuwachsen. Hoffentlich trägt dieser Beitrag und diese Website mit den Leuten dahinter dazu bei, dass sich diesbezüglich etwas in der Politik verändert.

    July 1, 2023 REPLY

    Kämpfen lohnt sich ! Viel Erfolg liebe Sabine und Familie

    July 1, 2023 REPLY

    ❤️

leave a comment