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„Na Hauptsache gesund!“

Ich erinnere mich noch gut an jene Nacht im Jänner 2009 als wir die Montgomery Road Richtung Krankenhaus fuhren. Ein paar Schneeflöckchen tanzten auf der Windschutzscheibe unseres kleinen Chevy Prizm – fast romantisch, abgesehen von den Wehen… Tagsüber war die Straße immer dicht befahren und ich war so froh, dass ich den Blasensprung mitten in der Nacht hatte. Jetzt waren da nur mein Mann und ich und natürlich unser kleiner Sohn, der es immer eiliger hatte, das Licht der Welt zu erblicken. Wir lebten damals in den Vereinigten Staaten, weil mein Mann dort eine Forschungsstelle hatte. Wir freuten uns riesig auf unser 4. Kind, unseren 1. Sohn, einen Amerikaner noch dazu!

Im Krankenhaus begrüßte uns eine Hebamme, die ich zufällig von unserer Pfarre kannte. Bei ihr fühlte ich mich gut aufgehoben und wir meisterten eine relativ angenehme Geburt. Aber bei seinem ersten Schrei, wollte keine Jubelstimmung aufkommen. Ich sah nur die ernsten Mienen in den Gesichtern meines Mannes, der Hebamme und des Arztes, die ich nicht wirklich einordnen konnte. Es ging alles sehr schnell: einen Augenblick lang durfte ich meinen Sohn in den Arm nehmen und begrüßen. Dann nahmen sie ihn mit, um ihn zu untersuchen und in die Neugeborenen-Intensivstation des Cincinnati Children’s Hospital zu überstellen. Wie sich dort herausstellte, hatte unser Sohn im Mutterleib ein Blutgerinnsel im Bein, was nur sehr, sehr selten vorkommt. Sein rechter Unterschenkel war dick geschwollen und voller Trombosen. Nachdem man sie nicht auflösen konnte, blieb keine andere Wahl, als den Unterschenkel am 3. Lebenstag zu amputieren.

“Was für ein Drama!”, “Was für ein Leid!”, “Was für ein Schicksal!” prasselte es von rundherum auf mich ein. Mein Sohn war behindert! Das hatte ich nicht erwartet! Doch als ich wie ferngesteuert an seinem Intensiv-Bettchen stand – ich hatte ja seit jener Fahrt im Chevy Prizm nicht wirklich viel geschlafen – wurde mir klar: “Du bist mein SOHN und KEIN Schicksal! Ich bin deine Mama – no matter what! Ich liebe dich mit jeder Faser meines Herzens!” Ich wollte ihm immer in die Augen schauen können und ihm nicht später erklären müssen, dass ich ihn wegen seiner Behinderung nicht lieb gehabt hätte…

Inzwischen sind neun Jahre vergangen. Wir leben wieder in Wien. Unser Sohn ist ein aufgeweckter, lustiger Viertklässler mit unendlich vielen Ideen und großen Plänen für die Zukunft: er möchte Filmproduzent werden.

Was habe ich (als Mutter) gelernt:

1.) ungeahnte Kräfte

Wenn mir jemand vor der Geburt gesagt hätte, was in den ersten Lebenstagen passieren würde, weiß ich nicht, ob ich es mir zugetraut hätte. Aber wenn du dich der Situation stellst, bekommst du die Kraft und die Stärke, den nächsten Schritt zu gehen.

2.) Du bist nicht allein!

Zuerst war da mein Mann! Die tragischen Ereignisse nach der Geburt haben uns sehr zusammengeschweißt und unsere Liebe noch stärker gemacht. Dann waren da natürlich die Ärzte, Schwestern und Therapeuten im Krankenhaus, die nicht nur unserem Sohn, sondern auch uns Eltern geholfen haben. Und nicht zuletzt die vielen Leute aus Nachbarschaft, Pfarrgemeinde und Schule, die uns in jeder Hinsicht unterstützt haben. Ich musste z.B. drei Monate lang nicht kochen, weil sie uns täglich ein mehrgängiges Dinner bereitet haben.

3.) Die Orthopädietechnik ist genial

Es ist eine “stille” Berufsgruppe, von der ich ehrlicherweise nichts wusste, die aber großartiges leisten! Unser Sohn geht sehr gut mit seiner Beinprothese, die in regelmäßigen Abständen erneuert und optimiert wird. Er klettert auf Bäume, spielt Basketball, kann sogar tanzen und Radfahren.

4.) Eine Behinderung ist kein Nachteil

Seine Körperbehinderung spielt im Alltag keine Rolle. Er wird weder ausgelacht noch ständig bemitleidet. Natürlich schauen die Leute im Freibad und die Kinder am Spielplatz sprechen ihn auf seine Beinprothese an, aber das empfindet er nicht als unangenehm. Ich habe ihn vor ein paar Tagen gefragt, ob er traurig ist, dass er nur ein Bein hat. “Eigentlich gar nicht”, hat er geantwortet, “mit einem Bein kann ich viel mehr machen.” Zitatende. Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

Teresa Pokall lebt mit ihrem Mann und ihren 7 gemeinsamen Kindern in Wien.

 

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